Hausteilung gegen entleerte Gebiete

Das deutsche Heft Detail berichtet von Strategien gegen die Entvölkerung in Ostdeutschland und den Niedergang von Regionen. Ein Weg, den Jana Reichenbach-Behnisch im Gespräch mit dem Fach-Journalisten (BBR) aufzeigt, ist der von Hausteilung unter Wirtschaftstreibenden. Dabei geht es um ein Konzept, bei dem sich Nahversorger tageweise im Ort ablösen, was die Grund-Versorgung in kleinen Orten aufrecht halten soll. Das Büro rb architekten hat mit einer alten Tapetenfabrik aus der Gründerzeit einen aktiven Umwandlungsprozess einer industriellen Brache begleitet. Hier wurde eine Nachnutzung leerstehender Bausubstanz durch Kreative erreicht. Wie Kunst und leer stehende Gebäude zusammen gehen können zeigt übrigens auch der aktuelle Filmbeitrag (am Rand auf dieser Seite). Reichenbach-Behnisch arbeitet an Forschungsprojekten im Bereich des ländlichen Raumes, im Besonderen in der Region am Stettiner Haff. Auszugsweise findet sich das Interview hier:

BBR (Detail): In Deutschland können wir zwei große Binnnenwanderungsprozesse beobachten. Für eine Einflussnahme in diese Prozesse stehen nur begrenzte Handlungsoptionen bereit. Warum sollen wir die Menschen nicht einfach ziehen lassen?

Jana Reichenbach-Behnisch: Ja, das ist eine interessante Frage. Spontan geantwortet sollte man die Menschen einfach ziehen lassen. Die Menschen sind freie Wesen und sollten frei in ihren Entscheidungen sein. Aber natürlich muss man bestimmte Binnenwanderungsprozesse kritisch beobachten. Gerade die Wanderungsprozesse, die wir am Stettiner Haff vorgefunden haben, sind besorgniserregend, da die Wanderung nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen möglich ist und andere Gruppen vollständig ausgegrenzt werden. Und es ist abzusehen, das die Kulturlandschaft am Stettiner Haff nicht wieder spontan besiedelt wird. In unserer Arbeit versuchen wir mit einem kreativen Ansatz den Menschen das Bleiben zu ermöglichen. Die Region soll stabilisiert werden. Die Kunstidee einer Region der Wölfe, Bären und Wisente ist keine Option, sondern bedeutet Aufgabe von Kulturlandschaft mit ihren Dörfern, Schlössern und historischen Baumalleen. Wenn ich höre, das wir vier von fünf Dörfern aufgeben sollen, frage ich mich: Wer sollte dann noch in dem letzten Dorf wohnen wollen? Das ist nicht der Ansatz unserer Arbeit und auch nicht mein persönliches Anliegen.

BBR: Multiple, also mehrfache Nutzung von Häusern ist Ihr Lösungsvorschlag für kleine Gemeinden, um leerstehende Gebäude wieder zu nutzen. Welche Entwicklungen können Sie in den Orten, in denen Sie tätig waren, feststellen?

Jana Reichenbach-Behnisch: Wir haben uns gerade im Rahmen dieser Forschungsinitiative vorrangig mit dem ländlichen Raum beschäftigt. In der Region Stettiner Haff können wir feststellen, dass es hohe Wegzugsquoten, insbesondere bei jungen Menschen gibt, weil die Arbeit am Ort fehlt. Es werden zwar jetzt schon große Entfernungen zum Pendeln angenommen, aber wenn ein bestimmtes Maß überschritten wird, ist das auch für junge Leute keine Option mehr. Wir beobachten gerade im ländlichen Raum eine große Zentralisierung von allem, was Lebensqualität am Wohnort ausmacht: Lebensmittel, Dienstleistungen und die Verwaltungen sind inzwischen ebenso von den Menschen entfernt wie Theater, Bibliotheken und Museen. Verstärkt durch die abnehmende Mobilität der Bewohner breitet sich eine geistige und kulturelle Armut aus und ein Mangel an Nachbarschaft. Mit dem Ansatz der multiplen Häuser wollen wir bewusst den negativen Folgen von Zentralisierung entgegenwirken. Es sollen wieder verschiedenste Dienstleistungen im Ort angeboten werden. Händler, Ärzte, Frisöre sollen sich tageweise ein Haus im Dorf teilen. Dieses Haus ist ein neuer Kommunikationsort. Auch Nachbarschaft braucht Raum. In Gesprächen stellen wir immer wieder fest, das die Menschen in der Region verwurzelt sind, das sie gern in der Region bleiben wollen, nicht nur die alten, sondern auch die jungen Menschen. Das ist oft auch historisch bedingt. Gerade in ländlichen Regionen haben Grund und Boden noch eine besondere Bedeutung.

BBR: Welche Maßnahmen, Entwicklungen können die Menschen in sich entleerenden Regionen halten?

Jana Reichenbach-Behnisch: Wichtig ist das Wort “Heimat”. Dieses Wort wieder bedeutsam und erlebbar zu machen, ist Teil unserer Arbeit. Wir wollen ganz bewusst leerstehende Häuser aktivieren. Sie müssen eine Geschichte haben, die von den Dorfbewohnern angenommen und weitergeschrieben werden kann. Ein weiterer Punkt ist die zunehmende Zentralisierung. Hier sollte unserer Ansicht nach Einhalt geboten werden, da sich dieser Prozess ab einer bestimmten Größe umkehrt und unwirtschaftlich wird. Wir selbst können nicht vordergründig Arbeitplätze in die Region bringen, aber wir suchen Wege im Strukturwandel; hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Im besonderen Fokus steht für uns dabei auch die wachsende Generation 50+. Hier kreative Angebote zu entwickeln, bietet neue Chancen für diese Dienstleistungsgesellschaft.

Aus “Detail” gestaltet von BBR, am 26.6.2011